Deutscher Gewerkschaftsbund

PM - 01.05.2006

Rede zum Tag der Arbeit am 1. Mai 2006

auf dem Großneumarkt
Erhard Pumm, Vorsitzender des DGB Hamburg
Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Motto des diesjährigen 1. Mai lautet: Deine Würde ist unser Maß.
In Würde leben bedeutet für uns
1. die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe für jeden Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft oder kulturellem Hintergrund, und die Bewahrung vor sozialer Ausgrenzung,
2. das Recht auf ein existenzsicherndes Einkommen durch Tarifvertrag und gesetzlichen Mindestlohn,
3. den Schutz vor existenziellen Risiken wie Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Armut,
4. die gerechte Verteilung von Wohlstand an die Beschäftigten,
5. den Zugang zu Bildung und Ausbildung unabhängig von Status und Einkommen der Eltern,
6. die Selbst- und Mitbestimmung in Gesellschaft und Arbeitswelt und
7. den Erhalt einer lebenswerten Umwelt.
Dafür treten wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auch hier in Hamburg ein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in diesen Tagen feiern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in vielen Ländern der Welt den Tag der Arbeit und erinnern sich dabei auch an die frühen Kämpfe um Arbeiterrechte. Am 1. Mai 1890 fanden die ersten internationalen Kundgebungen statt, die Gewerkschaften hatten sich damals die Einführung des 8-Stunden-Tages auf die Fahnen geschrieben. Durch ihren Einsatz gelang später die Einführung der 40-Stunden Woche, später die der 35-Stunden-Woche. Heute sind diese hart erkämpften Rechte wieder in Gefahr geraten, genauso wie das Recht auf Urlaubstage, auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, auf Kündigungsschutz.
Viele Unternehmen planen mit politischer Unterstützung den Weg zurück in das 19. Jahrhundert. Aber wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wollen nicht, dass das Rad der Geschichte wieder zurückgedreht wird!
Kolleginnen und Kollegen,
seit 11 Wochen wird im öffentlichen Dienst gestreikt, und zwar nicht nur , weil die Beschäftigten unwillig sind, u.a. 18 Minuten länger zu arbeiten – dieses ist eine bewusste Diffamierung - sondern weil sie wissen, dass diese 18 Minuten täglich zu massivem Stellenabbau und damit zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Dagegen setzen die drei Gewerkschaften ver.di , GdP und GEW sich zur Wehr und das mit Recht!
Ich richte deshalb einen besonders herzlichen Gruß an die streikenden Kolleginnen und Kollegen. Sie sollen wissen, wir stehen solidarisch an ihrer Seite.
Gerade jetzt spitzt sich die Streiklage zu, dazu wird nach mir der Landesbezirksleiter der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, Wolfgang Rose, zu euch sprechen.

Kolleginnen und Kollegen,
die Lage auf dem Hamburger Arbeitsmarkt hat sich nicht verbessert. Rund 100.000 Menschen in Hamburg sind als arbeitslos registriert, noch viel mehr suchen eine bezahlte Beschäftigung.
140.000 Minijobber in Hamburg, über 10.000 Ein-Euro-Jobber und etliche Ich-AGler dümpeln am Rande des Existenzminimums dahin.
Damit wollen wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter uns nicht abfinden!
Aber auch eine Politik, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, darf dies nicht hinnehmen. Der Hamburger Senat aber lebt in der Vergangenheit, sein Glaubenssatz lautet „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s auch den Arbeitnehmern gut“.
Wir rufen unserer Landesregierung zu: „Wacht endlich auf aus eurem Dornröschenschlaf! Eure Gleichung geht schon lange nicht mehr auf.“
In der Tat, einige Bereiche der Wirtschaft kommen zu Riesengewinnen, und zwar auf Kosten der Beschäftigten durch Arbeitsplatzvernichtung , Arbeitszeitverlängerung, Arbeitsverdichtung und Lohnklau.
Und weil Löhne eben nicht nur Kosten sind sondern zugleich auch Kaufkraft und Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, gehen seit Jahren auch die Binnennachfrage und die Einnahmen des Staates und der Sozialversicherung Schritt für Schritt in den Keller. Verschärft wird diese Abwärtsspirale durch Steuersenkungen für die Vermögenden und für Konzerne.
Demgegenüber bleiben wichtige Projekte der Bereiche Bildung, Forschung, Sicherheit, der öffentlichen Infrastruktur oder der aktiven Arbeitsmarktpolitik mehr und mehr auf der Strecke.
Die Weiterbildungslandschaft ist so gut wie zerstört, die Hamburger Erwerbslosen gucken in die Röhre, mehr als ein Drittel von ihnen ist länger als ein Jahr arbeitslos.
Kolleginnen und Kollegen, der Löwenanteil der Steuergelder wird von den Beschäftigten aufgebracht. Daher fordern die Hamburger Gewerkschaften den Senat auf, endlich wirkungsvolle Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung der Menschen in dieser Stadt zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass sie in Würde ihre Existenz durch Arbeit sichern können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Kündigungsschutz ist in Gefahr! Arbeitgeber und Politiker haben dafür ihre eigene Sprache: Sie nennen es ein Auflockern des Kündigungsschutzes, damit das zarte Pflänzchen Beschäftigungswachstum wieder keimt.
Allerdings kann keiner von denen, die dafür sind, einen einzigen Beweis dafür liefern, dass weniger Kündigungsschutz zu mehr Beschäftigung führt.
Ideologen sind aber bekanntlich durch Wahrheiten nicht zu erschüttern, denn im Berliner Koalitionsvertrag wurde trotzdem der weitere Abbau des Kündigungsschutzes vereinbart. Künftig muss praktisch jeder, der einen Arbeitsvertrag haben will, auf den Kündigungsschutz in den ersten zwei Jahren verzichten. Damit sind Arbeitnehmer in dieser Zeit allein vom guten Willen des Arbeitgebers abhängig. Duckmäusertum wird vielerorts das Betriebsklima verschlechtern, Angst und Verunsicherung werden an der Tagesordnung sein. Was mit Sicherheit darunter leiden wird, sind Kreativität, Identifikation mit dem Betrieb, Konsumbereitschaft und die Würde der Arbeitnehmer!
„Mehr Freiheit wagen“ wollte Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung. Sie scheint die Freiheit der Arbeitgeber zu meinen, das aber ist nicht die Freiheit, die wir meinen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
für dieses Jahr sind große Reformen in der Gesundheitspolitik angekündigt. Die Krankenkassen können die versprochenen Leistungen nicht mehr bezahlen. Wie kann das sein, denn die Beschäftigten bezahlen ja jeden Monat einen erheblichen Teil ihrer Einkommen an die Krankenkassen?
Auch hier schlägt die verfehlte Arbeitsmarktpolitik durch: Der Rückgang von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und die Zunahme von sozialversicherungsfreier Beschäftigung und von Lohndrückerei müssen ja dazu führen, dass die Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen den Ausgaben nicht standhalten können. Diese sind gewaltig gestiegen: Allein im vergangenen Jahr um fast 10 Milliarden Euro, für Medikamente gaben die Kassen 5,3 Milliarden Euro mehr aus, für Krankenhausbehandlung 4 Milliarden Euro.
Wie kam es zu dieser Ausgabensteigerung?
Während die Ausgaben für ärztliche Behandlungen seit 1998 um drei Prozent gestiegen sind, hat sich die Zahl der niedergelassenen-, vor allem aber der Fachärzte um fast 18 Prozent erhöht. Im Jahr 1992 kümmerte sich ein Arzt noch um 322 Einwohner, 2004 hatte er durchschnittlich nur noch 269 Patienten. Selbstverständlich sinken dann die Einnahmen für den einzelnen Arzt und einige Praxen stehen mittlerweile kurz vor dem Ruin. Dem steht der öffentliche Gesundheitssektor gegenüber, der immer mehr privatisiert wird, hier erleben wir eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, das Krankenhauspersonal steht unter einem zunehmenden Arbeitsdruck und wird ausgenutzt, die Patienten leiden darunter.
Es kann nicht angehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer mehr Geld in dieses Gesundheitssystem pumpen, die Leistungen aber sinken und Arzneimittelhersteller sich daraus mehr und mehr bedienen!

So stellen wir uns eine nachhaltige und tragfähige Gesundheitspolitik vor:
1. Alle Bürgerinnen und Bürger werden nach ihrer Leistungsfähigkeit in die Finanzierung der Gesundheit einbezogen. Dazu gehören natürlich auch Zins- und Kapitaleinkünfte.
2. Alle Bürgerinnen und Bürger haben den gleichen Zugang zu den notwendigen Gesundheitsleistungen.
3. Auch die Arbeitgeber bleiben weiter in der Verantwortung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistung.
4. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung werden über Steuern finanziert.
5. Gesundheitsprävention in Betrieben wird verstärkt und arbeitsbedingte Erkrankungen dadurch nachhaltig gesenkt.
Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst uns streiten, damit wir der Bürgerversicherung ein Stück näher kommen und die Würde der kranken und der alten Menschen bewahren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Gewerkschaften haben sich immer dafür eingesetzt, dass Menschen nach einem langen Arbeitsleben in gesicherten Lebensumständen und in Würde alt werden können.
Die Bundesregierung hat nun ganz neue Pläne für unser Alter ausgearbeitet: Künftig sollen wir erst mit 67 Jahre Anspruch auf unsere gesetzliche Rente erheben können.
Diese Rentenpläne lehnt der DGB entschieden ab!
Seit 1989 wurde der Leistungsumfang der gesetzlichen Rentenversicherung schon um ein Drittel gekürzt, gerade erleben die Rentnerinnen und Rentner die dritte Nullrunde.
Ich kann die Pläne der Bundesregierung nur als zynisch bezeichnen. Es wird künftig kaum noch Beschäftigte geben, die ohne Unterbrechung bis 67 bezahlte Arbeit haben. Die Massenarbeitslosigkeit ermöglicht vielen Menschen schon heute nicht mehr, die notwendigen Beitragsjahre zusammenzubekommen, besonders desolat ist die Beschäftigungssituation für die Älteren und es gibt Branchen, z.B. im Baugewerbe, wo Unterbrechungen der Beschäftigung an der Tagesordnung sind.
45 Versicherungsjahre stellt sich die Bundesregierung vor, dann soll man auch mit 65 abschlagsfrei in Rente gehen können, doch wer erreicht schon 45 Versicherungsjahre? Bereits heute nur knapp 30% der Männer und 10% der Frauen!
Die Rentenpläne der Regierung stellen nichts anderes als eine drastische Rentenkürzung dar und die wollen wir nicht hinnehmen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserer Kritik stehen wir nicht allein.
Der DGB hat ein Netzwerk für eine gerechte Rente mit den großen Sozialverbänden ins Leben gerufene, ein breites gesellschaftliches Netzwerk für eine Trendwende in der Rentenpolitik.
Wir treten gemeinsam für ein Rentensystem ein, das Durchschnittsverdienern nach einem erfüllten Arbeitsleben Renten bietet, die
- einen deutlichen Abstand zur Grundsicherung aufweisen und
- einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des Lebensstandards leisten.
Die heutigen Erwerbsbiografien mit ihren Brüchen wie Arbeitslosigkeit, Zeiten der Selbständigkeit, der Teilzeitarbeit oder der Praktikumstätigkeit dürfen nicht dazu führen, dass Menschen ein Alter in Armut und Unsicherheit erleben.
Auch deshalb treten wir für die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung ein. Dabei ist es nur recht und billig, dass die Lücken, die den Beschäftigten durch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes entstehen, über einen steuerlichen Ausgleich finanziert werden, an dem vor allem die Unternehmen über ihre Gewinne beteiligt werden. Schließlich hat die Politik die Flexibilisierung ermöglicht, die von den Arbeitgebern gefordert wurde.
Es ist deshalb die Verantwortung des Staates, die Wirtschaft zu verpflichten, diese Löcher in der Alterssicherung zu schließen.
Die Gewerkschaften sehen daneben die Notwendigkeit, die betriebliche Altersversorgung weiter zu stärken. Jeder Arbeitgeber sollte per Gesetz verpflichtet werden, den Arbeitnehmern ein Angebot einer betrieblichen Altersversorgung für die Beschäftigten zu machen.
Die Politik muss wissen, dass wir zu harten Auseinandersetzungen über die Rente mit 67 bereit sind. In der letzten Bundestagswahl haben die neoliberalen Radikalreformer eine Abfuhr bekommen. Wir wollen schon heute daran erinnern, dass die große Koalition zwar eine breite parlamentarische Mehrheit besitzt, aber kein Mandat für weitere Einschnitte in Kernbereiche unseres Sozialstaates.
Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, streiten deshalb gemeinsam für soziale Reformen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass sich politisches Engagement und Widerstand auch auf europäischer Ebene lohnen, zeigen die Erfolge beim Protest gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie und Port Package II. Viele von euch und viele tausend Hafenarbeiter in Hamburg und ganz Europa protestierten erfolgreich gegen die im Port Package II vorgesehenen Hafenöffnungen. Sie hätten den Häfen Lohn- und Arbeitsbedingungen aus Niedriglohnländern beschert. Bei der EU-Dienstleistungsrichtlinie konnten wir erreichen, dass das Herkunftslandprinzip gestrichen wurde. Neoliberale Kräfte in Europa wollten, dass jeweils die Arbeitsbedingungen des Landes gelten, aus dem der Dienstleister kommt. Das hätte geheißen: Polnische oder portugiesische Billiglöhne im Hochpreisland Deutschland. Auch hier hat sich der Widerstand der organisierten Arbeitnehmerschaft gelohnt. Etliche von euch sind im Februar zur Großdemonstration nach Berlin gefahren und haben eindrucksvoll gezeigt, dass man nicht alles mit uns machen kann. In allen Ländern Europas gab es Widerstand. Dies wurde deutlich bei der eindrucksvollen Großdemonstration des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Straßburg. In Straßburg konnte man auf der Straße sehen und hören, dass die europäische Gewerkschaftsbewegung ihre Kräfte entfaltet.
Eine neue Entwicklung zeichnet sich ab, die Hoffnung macht. Internationale Solidarität ist keine hohle Floskel, sondern Bestandteil praktischer Gewerkschaftsarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn Menschen sich einig sind, dann können sie viel erreichen – und auch Widerstand leisten gegen Regierungsentscheidungen, die ihnen unsachgemäß erscheinen. In diesem Sinne sollte die neue Hamburger Volksgesetzgebung unsere Demokratie stärken und beleben.
Der Hamburger Senat steht mit der in 2001 beschlossenen Volksgesetzgebung, die immerhin mit den Stimmen der CDU zustande gekommen war, auf dem Kriegsfuß. Den Beweis hat der Senat im vorigen Jahr selbst geliefert: Nachdem sich bei der letzten Bürgerschaftswahl 76 % der Wähler gegen den Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser in einem Volksentscheid ausgesprochen hatten, wurde das Gesetz über Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide von der CDU entscheidend geändert. Neue Hürden für das Volksbegehrens wurden eingebaut: Die erforderlichen 60 000 Eintragungen dürfen nicht mehr auf der Straße, sie müssen in einer Amtsstube vorgenommen werden. Damit soll ganz offensichtlich die Abstimmung durch die Bürger in der Praxis erheblich erschwert werden. Der Demokratie hat diese Gesetzesänderung nicht gedient, sondern geschadet.
Dennoch: Die Initiatoren, zu denen auch die Gewerkschaften gehören, werden auch diese Herausforderung annehmen und in einigen Monaten die Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften auffordern, die zwei Volksbegehren „Rettet den Volksentscheid“ und „Hamburg stärkt den Volksentscheid“ zu unterstützen.

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Pressefoto Tanja Chawla