DGB Hamburg stellt drei konkrete Fälle vor - diese Verschlechterungen kommen auf Langzeitarbeitslose zu
Am 19.07.04 beginnt die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit dem Versand des Antrags auf das sog. ALG II an die derzeitigen Empfänger von Arbeitslosenhilfe. Der Antrag nebst Anlagen ist sehr umfangreich. "Die Erwerbslosen und ihre Angehörigen müssen sich bei der Antragstellung ,finanziell ausziehen' und ihre persönliche und gesamte finanzielle Situation offenbaren", sagt Erhard Pumm, Vorsitzender des DGB Hamburg. "Dieser mit dem Bundeswirtschaftsministerium und den Sozialhilfeträgern abgestimmte Antrag ist zudem sehr kompliziert, so dass viele Schwierigkeiten haben könnten, die umfangreichen Detailfragen problemlos zu beantworten. Der DGB hat deshalb eine Broschüre mit Tipps zum AUsfüllen zusammengestellt. Sie kann unter www.dgb-hamburg.de in der Rubrik Infomaterial heruntergeladen werden. "Von den Agenturen für Arbeit erwartet der DGB, dass jetzt alle Energien auf eine zufrieden stellende Beratung und Unterstützung der Langzeitarbeitlosen gerichtet werden�, so Erhard Pumm. � Gefordert wird von den Arbeitslosen mehr als verkraftbar ist, jetzt muss erkennbar werden, worin die Förderung besteht! Dazu zählt auch, dass die 42 000 Arbeitslosenhilfeempfänger in Hamburg von der Agentur für Arbeit Unterstützung bekommen beim Ausfüllen dieser 15 Seiten.� Ab Montag soll bei der BA unter der Telefon-Nr.. 01801/012012 eine Info-Hotline eingerichtet werden, die aus dem Festnetz zum Ortstarif erreichbar ist. In drei konkreten Beispielen stellt der DGB Hamburg dar, welche Verschlechterungen auf Langzeitarbeitslose ab Januar zukommen werden. Die Personen sind bereit, ihre �Geschichte� ausführlich in Einzelinterviews darzustellen. Der DGB Hamburg vermittelt den Kontakt. Zudem finden Sie im Anhang Tipps zum Ausfüllen der ALG II-Anntragsformulare. Drei �Fälle�, drei Schicksale So wirkt sich Hartz IV auf Langzeitarbeitslose aus 1) Herr E., 45 Jahre alt, Großrechner-Operator, Familienvater von zweiKindern(12 und 15 Jahre alt), verheiratet, arbeitslos seit 1.1. 2003 Ausbildung zum DV-Kaufmann, 11 Jahre tätig als Großrechner-Operator mit gutem Einkommen. Herr E. ist seit dem 1.1.03 arbeitslos, seit Juni 04 Bezug von Arbeitslosenhilfe: 1132,04 Euro monatlich, das sind 40,43 Euro täglich. Seine Frau hat einen Minijob auf 400-Euro-Basis. Zur Situation: Seit November 02 ist Herr E. Arbeit suchend und hat beim ersten Gespräch imArbeitsamt deutlich darauf hingewiesen, dass er auch �niedrigere� Tätigkeiten annehmen würde. Bis heute hat Herr E. keine einzige Stelle nachgewiesen bekommen. Herr E. war bereit, als �Straßenfeger mit Karre" oder als Müllwagenfahrer zu arbeiten, bewarb sich, wurde aber wegen seines Alters abgelehnt (�Einstellgrenze 40 J."). Herr E.: �Von daher tut es weh, wenn die Rede ist von 'mit Druck in Arbeit bringen', 'durch schmerzhafte finanzielle Opfer zur Annahme einer Arbeit drängen' etc., denn ein Großteil der Arbeitslosen WILL arbeiten, um aus eigener Kraft Lebensunterhalt, Wohlstand etc zu erreichen. Wo muss ich ,meinen' Arbeitsplatz suchen, damit ich durch 'Kaufkraft aus Erwerbstätigkeit' meinen Teil zum Wirtschaftswachstum beitragen kann? Hat ihn ein Roboter? Oder eine automatisierte Produktionslinie? Oder ist er in einem 'Billiglohnland' in Süd-/Osteuropa, Asien oder Afrika? Wem der Arbeitsmarkt keine Chance gibt, der kann weder Rentenbeiträge zahlen noch 'eine Wochenstunde mehr' noch bis 67 arbeiten!" Die finanzielle Situation der Familie E. ist jetzt schon nicht rosig: Lebensmittel kommen von Aldi, Lidl oder aus Supermarkt-Sonderangeboten, Gastronomiebesuche wurden gestrichen, Urlaubsreisen ebenso, Kleidung und Schuhe kauft Familie E. aus 'Posten-und-Partien-Märkten. "Wir haben eben alles auf 'Minimalkonsum' reduziert. So schaden wir unfreiwillig, umständehalber und notgedrungen dem 'Konsumstaat' Deutschland!", sagt Herr E. Seine leicht schulmüden Kinder 15/12 fragen nun: �... du warst auf dem Gymnasium, hast 'was richtiges gelernt', hast Berufserfahrung - und was ist nun mit "... du musst gut in der Schule mitkommen, damit du anschließend 'einen ordentlichen Beruf ' erlernen kannst und dann 'was hast und bist' ...?" Herr E. weiß darauf keine Antwort mehr. Die finanzielle Situation der Familie E. jetzt und ab Januar 05 Insgesamt ergibt sich für Familie E. derzeit folgendes Einkommen: ALHI Herr E: 1132 Euro Minijob Frau E: 400 Euro Kindergeld für zwei Kinder: 308 Euro Wohngeld: 38 Euro Ergibt insgesamt ein Familieneinkommen von 1878 Euro
Ab Januar 05 gilt folgende Rechnung: Einkommen: Minijob: 340 (von den 400 Euro, die Frau E. bekommt, darf sie einen Freibetrag von 15 Prozent -60 Euro - behalten; als Einkommen angerechnet werden also �nur� 340 Euro) Kindergeld: 308 Euro Insgesamt: 648 Euro Bedarf: Herr E.: 311 Euro (als Alleinstehender hätte er einen Anspruch auf 345 Euro, in einer Partnerschaft erhalten jedoch die Partner jeweils nur 90 Prozent der Regelsatzes) Frau E.: 311 Euro (Regelsatz für volljährige Partner in der Bedarfsgemeinschaft) Kind, 12 Jahre: 207 Euro (Regelsatz für Kinder bis 14 J.) Kind, 15 Jahre: 276 Euro (Regelsatz für Kinder bis 18 J) Insgesamt 1105 Euro abzüglich des Einkommens von 648 Euro = bleiben 457 Euro plus Kosten für angemessene Unterkunft und Heizkosten Hinzu kommt noch der Übergangszuschlag, der bis zu zwei Jahre nach dem letzten Arbeitslosengeld-Bezug gezahlt wird. Er beträgt 2/3 des Unterschiedsbetrags zwischen dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld zzgl. Wohngeld und dem zu zahlenden ALG II, maximal jedoch für Alleinstehende 160 Euro, mit Partner 320 Euro, für jedes minderjährige Kind 60 Euro. Ab dem 13. Monat mindert sich der Zuschlag um die Hälfte und wird max. 24 Monate gezahlt. Im Falle von Familie E. wird der Übergangszuschlag zunächst also max. 440 Euro betragen, ab Juli 05 dann 220, und er läuft aus zum Juli 06 (dann sind die zwei Jahre seit Bezug des Arbeitslosengelds von Herrn E. um). Ab Januar 05 wird Familie E. insgesamt 897 ALG II erhalten, ab Juli 05 677 Euro und ab Juni 06 457 Euro, jeweils zuzüglich der Kosten für Miete und Heizung. Womit wir beim nächsten Problem Wohnung wären: Die Familie E. lebt in einer 92 qm großen Wohnung, die 647 Euro incl. Betriebskosten monatlich kostet; Heizung und Strom kommen noch hinzu. Schon jetzt signalisierte die Agentur für Arbeit Herrn E., dass Größe und Kosten für diese Wohnung nicht angemessen seien für vier Personen. Nach den Richtlinien zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft, die jetzt für Sozialhilfeempfänger in Hamburg gelten und künftig auch für ALG II-Empfänger Anwendung finden sollen, gibt es für eine vierköpfige Familie eine Obergrenze von 85 qm und für Miete von max. 511 Euro. Künftige ALGII-Empfänger haben nur Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine angemessene Wohnung, dabei gilt eine Schonfrist von sechs Monaten. Danach kann der Familie E. ein Umzug zugemutet werden, auch wenn sie seit 10 Jahren in ihrer Wohnung wohnen, auch wenn die Eltern mit im Haus leben. Fragt sich nur: Wo in Hamburg gibt es diesen preisgünstigen Wohnraum?
2) Frau H., 60 Jahre alt, Schauspielerin, allein stehend Arbeitslosenhilfe derzeit: 920 Euro. Ab dem 1. Jan. 2005 wird sie nur noch 345 Euro bekommen. Das sind 575,00 Euro weniger, entspricht also einer Kürzung um mehr als 60%. Einen Anspruch auf Übergangszuschläge hat Frau H. nicht - den bekommen nur Personen, deren Bezug von Arbeitslosengeld nicht länger als zwei Jahre zurück liegt. Umgerechnet auf den Monat bekommt Frau H. pro Tag ca. 11 Euro. Davon muss sie bezahlen: Kosten für Essen, Kleidung, Strom, Telefon, Fernsehen, Zeitung, Versicherungen (Haftpflicht- und Hausratsversicherung), Zuzahlungen für Rezepte und Heilmittel in Höhe von 2 %, Zahnzusatzversicherung, HVV Ticket und Ausgaben für Bewerbungen. Da sie so gut wie keine Chance mehr hat, eine sozialversicherungspflichtige Arbeit zu finden - die Agentur für Arbeit signalisiert ihr immer wieder, dass diese nichts mehr für sie tun könne � bewirbt sie sich selbst auf dem Arbeitsmarkt. Dafür gibt es keine Zuschüsse vom Arbeitsamt. Sie muss sich aber aktiv bewerben, sonst bekommt sie eine Sperrfrist vom Arbeitsamt verhängt. Nach einigen Sperrfristen fliegt sie aus dem System raus. Sie ist Besitzerin einer kleinen angemessenen Wohnung, in der sie selbst lebt. Diese dient der Alterssicherung und ist in diesem Sinne vom Arbeitsamt akzeptiert worden. Sie muss diese noch abbezahlen und zahlt monatlich eine Tilgungsrate von 300 Euro. Das ist weniger als eine Miete für diese Wohnung. Von den 92O Euro konnte sie das machen, nicht aber von 345 Euro. Als Arbeitslosenhilfeempfänger hatte sie Rechtsanspruch auf Wohngeld (= Lastenzuschuss). Die Tilgungsrate wurde je nach Bedürftigkeit von der Wohngelddienststelle übernommen. Nach der neuen Gesetzgebung hat sie keinen Anspruch mehr , weil nach dem Sozialhilfegesetz mit der Tilgungsrate �Vermögen gebildet� wird. Ihr kann, so bekam sie die Auskunft, je nach Ermessen ! die Tilgungsrate nur noch als �Darlehen� gewährt werden. Dazu die Auskunft aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Sofern der erwerbsfähige Hilfebedürftige ein (angemessenes) Eigenheim oder eine Eigentumswohnung bewohnt, gehören zu den Kosten der Unterkunft die mit diesen verbundenen Belastungen (z.B. angemessene Schuldzinsen für Hypotheken, Grundsteuer und sonstige öffentliche Abgaben, Wohngebäudeversicherung, Erbbauzins, Nebenkosten wie bei Mietwohnungen (z.B. Müllgebühr, Schornsteinfegergebühr, Straßenreinigung). Auch laufende Leistungen für Heizung sind zu übernehmen. Nicht berücksichtigt werden können dagegen Tilgungsraten. Sie dienen der Vermögensbildung, welche nicht mit dem Zweck einer Fürsorgeleistung vereinbar ist. Man denkt, Frau H. könnte doch etwas dazu verdienen, wenn sie etwas findet. Wenn sie im Monat z.B. 390 Euro hinzuverdient, darf sie davon 15 % behalten. Das sind ca. 58 Euro. Davon kann sie dann das gewährte Darlehen für die Tilgungsrate nur zum kleinen Teil bezahlen. Diese Möglichkeit, 15 % hinzuverdienen zu können, ist sogar geringer als die z. Zt. laufenden Programme �Sozialhilfe plus 1 Euro�.
3) Herr Z., Maschinenschlosser, zuletzt Hallenmeister, arbeitslos seit viereinhalb Jahren, 60 Jahre alt, bekommt 1100 Euro Arbeitslosenhilfe. Er ist verheiratet, seine Ehefrau war nie berufstätig, die Kinder sind aus dem Haus. Die Firma, bei der Herr Z. zuletzt als Hallenmeister gearbeitet hatte, ging Pleite. Seitdem findet Herr Z. trotz ca. 300 Bewerbungen keine Arbeit mehr. Die Situation ab Januar 05: Einkommen ab Januar: keines Bedarf ab Januar: 311 Euro für Herrn Z. 311 Euro für Frau Z. ( Partner in der Bedarfsgemeinschaft bekommen je 90 Prozent des Regelsatzes) ergibt 622 Euro für das Paar zusammen, zuzüglich der angemessenen Kosten für Miete und Heizung. Übergangszuschläge erhalten Herr und Frau Z. nicht mehr, weil Herr Z. bereits länger als zwei Jahre kein Arbeitslosengeld mehr bezieht. �Angesichts dieser Regelungen sehe ich mich gezwungen, jetzt doch vorzeitig in Rente zu gehen�, sagt Herr Z.. � obwohl ich dabei auch enorme Abschläge in Kauf nehmen muss, stehe ich mit dieser Rente noch besser da als mit dem ALG II.�